Seit mitte Februar nutze ich einen dynamischen Stromtarif. Entsprechende Anbieter erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. In sozialen Netzwerken werben Kunden mit geschönten Preisen. Doch welche Einsparung ist realistisch und welche Fallen gibt es?
Allmählich entspannt sich der Strommarkt wieder und die Preise sinken. Seriöse Anbieter bieten derzeit einen Arbeitspreis von etwa 33 Cent/kWh an. Wer bereit ist einem Anbieter sein Vertrauen zu schenken, der bereits Anfang 2022 Verträge rechtswiedrig kündigte, als die Preise stiegen, kommt mit 31 Cent/kWh weg. Allerdings bei Vertragslaufzeiten und festgeschriebenen Preisen auf eine Dauer von 12 Monaten. Sollten die Strompreise also weiter fallen, wären diese Verträge vor allem für die Anbieter attraktiv.
Als mir mein Stromversorger im Januar diesen Jahres einen neuen Arbeitspreis von 49,73 Cent/kWh ankündigte, entschied ich mich zum Stromanbieter Tibber zu wechseln. Im Gegensatz zu herkömmlichen Stromtarifen mit festen Arbeitspreisen, richtet sich der Arbeitspreis dort nach dem aktuellen Börsenpreis. Ein solcher Tarif ist natürlich mit Risiken verbunden. Als im Sommer 2022 die Preise für Strom durch die Verknappung von Gas an der Börse durch die Decke gingen, litten Kunden dynamischer Anbieter als erstes darunter. Allerdings ist es nun genau umgekehrt und da die Strompreisbremse auch für dynamsiche Tarife gilt, wird das Risiko kalkulierbar. Der Börsenpreis für Strom ändert sich stündlich. Die Preise stehen jedoch schon täglich ab 13:00 Ihr für den Folgetag zur Verfügung.
In sozialen Netzwerken findet sich regelmäßig Werbung von Tibber Kunden, die mit Screenshots vermeintlich extrem günstige Arbeitspreise zeigen. Immer wieder gepart mit dem Hinweis, dass es bei Nutzung des Einladungscodes 50€ Guthaben für den Tibber Store gibt. Eines sei Vorweg gesagt: Die dort angebenen Preise sind meistens geschönt. Wer sich für die Realität interessiert, sollte hier weiter lesen und findet, wie sollte es anders sein, am Ende dieses Artikels einen Einladungscode.
Tibber bietet zwei unterschiedliche Stromtarife an. Einerseits gibt es einen stündlichen Tarif, bei dem der Verbrauch in Echtzeit gemessen und zu Börsenpreisen abgerechnet wird. Dazu ist natürlich eine passende Messeinrichtung erforderlich. Daher gibt es noch einen alternativen Tarif, bei dem am Ende des Monats ein gewichteter Durchschnittspreis bestimmt wird.
Stündliche Abrechung
Benötigt wird dazu zunächst einmal ein digitaler Zähler (moderne Messeinrichtung). Da diese Zähler jedoch keine Daten übertragen können, wird ein zusätzliches Kommunikationsmodul benötigt. Die erste Möglichkeit ist der Einsatz eines Smart Meter Gateways. Der Einbau ist jedoch für Mieter nicht mehr ohne Zustimmung des Vermieters möglich und außerdem entstehen im Betrieb relativ hohe Kosten.
Alternativ kann der Tibber Pulse eingesetzt werden. Dieser wird auf die vorhandene Datenschnittstelle am digitalen Zähler aufgesteckt und überträgt die Verbrauchsdaten über eine Bridge in der Wohnung an das Internet. So ist nicht zwingend eine Internetverbindung in der Nähe des Zählers notwenig. Diese Lösung setze auch ich ein. Bis ich eine stabile Verbindung hatte, dauerte es eine ganze Weile, aber seitdem läuft die Lösung zuverlässig und Tibber hat wohl auch nochmal nachgebessert.
Je nach Strompreis kann ich nun energieintensive Verbraucher bevorzugt zu günstigen Stunden laufen lassen, während ich in teureren Stunden den Energieverbrauch bewusst reduzieren kann. Das hilft bei der Stabilisierung des Stromnetzes und schlägt sich gleichzeitig in niedrigeren Gesamtkosten nieder.
Falle 1: Der Rechnungsscreenshot
Immer wieder finden sich in sozialen Netzwerken Screenshots wie dieser:
Auf den ersten Blick ein extrem niedriger Arbeitspreis. Und natürlich: Hier fehlen noch die Tibber Grundgebühr und die Zählermiete. Natürlich sind die auch bei anderen Anbietern nicht im Arbeitspreis enthalten. Aber: Hier wird bewusst immer nur ein ganz kleiner Ausschnitt der Rechnung gezeigt. Ich zeige daher auch mal die ganze Seite:
Und hier zeigt sich, dass der Durchschnittspreis nicht die Mehrwertsteuer in Höhe von 19% enthält. Der tatsächliche Arbeitspreis beträgt also 28,64 cent/kWh. Mit diesem Wert gehen die zufriedenen Kunden aber in den sozialen natürlich nicht hausieren, sondern verbreiten immer wieder den oben gezeigten Ausschnitt. Zum Anfang des Artikels hatte ich zwei Festpreistarife an meiner Adresse genannt. Ja, mein Arbeitspreis bei Tibber war besser als bei diesen Anbietern, aber nicht so viel besser, wie manch einer es uns weiß machen will.
Es kommt aber noch besser. Manche User rechnen auf Basis ihres Arbeitspreises ohne Mehrwertsteuer munter weiter und rechnen sich damit Wärmepumpen, Elektroautos und Heimspeicher schön. Kann man machen, ist aber weder seriös, noch fördert es die eigene Argumentation, wenn man dabei mal auffliegt.
Falle 2: Die Grundgebühr
Wo wir schon die Rechnung sehen, gehen wir direkt weiter zur Grundgebühr. Nach eigener Aussage verdient Tibber am Stromverbrauch selbst nichts, sondern lebt nur von der Grundgebühr in Höhe von 3,99 €. Immer wieder wird die Behauptung verbreitet, dass die Grundgebühr im Vergleich zu anderen Anbietern sehr niedrig sei. Auch das ist nur die halbe Wahrheit.
Der Messstellenbetreiber darf für eine moderne Messeinrichtung (digitaler Zähler) bis zu 20 € im Jahr in Rechnung stellen. Dazu kommen noch Gebühren für die Netznutzung selbst. Manche Energieversorger rechnen das in einer Mischkalkulation direkt in ihre Grundgebühr ein. Tibber ist hier sehr transparent und schlüsselt die Kosten einzeln auf. Sie sind aber natürlich nicht in der Grundgebühr enthalten. Die Gesamtkosten liegen bei mir mit 9,87 € inkl. MwSt. also insgesamt auf einem ähnlichen Niveau anderer Anbieter.
Monatliche Abrechnung
Bei der stündlichen Abrechnung sind die Kosten direkt “erlebbar”. In der Tibber App kann der aktuelle Verbrauch sowie die Kosten pro Stunde und Tag direkt eingesehen werden. Anders ist es bei der Abrechnung am Ende des Monats. Hier sollte man als Kunde mindestens einmal monatlich einen Zählerstand übermitteln, damit der Verbrauch nicht geschätzt wird. Wer möchte kann seinen Verbrauch täglich übermitteln.
Es gibt jedoch einen erheblichen Nachteil: Es werden Durchschnittspreise ermittelt. In besonders teuren Stunden den Verbrauch zu reduzieren funktioniert also nicht. Der Durchschnittspreis für einen Tag ergibt sich allerdings nicht aus der Summe aller Stundenpreise geteilt durch 24, sondern es wird ein Modell verwendet.
Für Haushalte und Gewerbe wurden schon immer repräsentative Lastprofile, sogenannte Standardlastprofile, angenommen. Für Haushalte ist das in der Regel das Profil H0. Daraus haben die Energieversorger dann ihre jeweiligen Arbeitspreise für die Kunden kalkuliert. Dieses Profil legt auch Tibber an, wenn keine Echtzeitdaten zur Verfügung stehen. An einem Wintertag sieht der unterstellte Verbrauch zum Beispiel wie folgt aus:
Dem gegenüber steht der Börsenpreis eines üblichen Werktags im Winter:
Es wird offensichtlich, dass das Standardlastprofil genau dann einen hohen Verbrauch annimmt, wenn der Strompreis auch besonders hoch ist. Wer also morgens heißes Wasser mit einem Durchlauferhitzer zubereitet, tagsüber nicht zuhause ist und abends vorm Fernseher liegt, dürfte ziemlich gut H0 entsprechen. Wer davon allerdings abweicht, oder sogar eine Verbrauchsverlagerung realisieren kann, sollte auf die Echtzeitabrechnung setzen.
Falle 3: Der Durchschnitsspreis
In der Tibber App gibt es ein schönes Diagramm, das den Durchschnittspreis pro Monat zeigt. Zu beachten ist, dass die Preise aufgrund unterschiedlicher Netzentgelte regional leicht abweichen können.
Für März 2023 gibt es zum Beispiel einen Durchscnitt von 28,7 cent/kWh an. Jetzt könnte man voreilig zum Schluss kommen, dass sich die stundenbasierte Abrechnung bei mir nicht gelohnt hätte. Zur Erinnerung: Mein Durchschnittspreis lag im März bei 28,64 cent/kWh.
Allerdings sind die hier gezeigten Durchschnittspreise keine gewichteten Durchschnittspreise. Sie entsprechen der Summe aller Stundenpreise geteilt durch die Anzahl der Stunden. Also der Preis, den man erreichen würde, wenn man ein Gerät mit konstanter Last betreiben würde. Jetzt wissen wir aber bereits, dass im Fall der monatlichen Abrechnung das Standardlastprofil H0 zum Einsatz kommt. Dieses unterstellt uns dann einen besonders hohen Verbrauch, wenn der Strom besonders teuer ist.
Wer Tibber also ohne Echtzeitdaten nutzt, würde mehr als den Durchschnittspreis zahlen. Der Durchschnittspreis kann also nur als grober Richtwert genutzt werden. In den sozialen Medien wird der Durchschnittspreis jedoch häufig als der Preis genannt, den Kunden in der monatlichen Abrechnung gezahlt hätten. Das ist schlicht irreführend.
Fazit
Wenn ich die Arbeitspreise vergleiche, habe ich im März gegenüber den günstigsten Festpreisanbieter 2,4 cent/kWh eingespart. Das entspricht einer Gesamtersparnis von 3,52 €. Die Grundgebühr wäre mit 9,54 € um 33 cent niedriger gewesen als bei Tibber. Dieser Anbieter fällt jedoch mit besonders negativen Bewertungen auf und hat mir Anfang 2022 den Vertrag ohne Rechtsgrundlage gekündigt. Daher möchte ich als Vergleich auch Vattenfall bei einem Arbeitspreis von 33,67 cent/kWh und einer Ersparnis von 7,37 € anführen. Den Grundversorger mit 49,73 cent/kWh stelle ich hier nicht ins Verhältnis, da mir der Details für die korrekte Berechnung der Strompreisbremse fehlen.
Wer Spaß am Nerdfaktor hat und bereit ist, seinen Verbrauch zu verlagern, sollte Tibber einmal ausprobieren. Mit der Strompreisbremse und einer Kündigungsfrist von nur zwei Wochen ist das Risiko überschaubar. Allerdings sollte man sich vorher gut überlegen, wie hoch das eigene, realistische Einsparpotential ist und nicht blind auf irgendwelche schöngerechneten Daten aus sozialen Netzwerken vertrauen.
Und ja: Tibber bietet auf dem Papier 100% Ökostrom. Natürlich werden wir den Planeten nicht mit irgendwelchen Ökozertifikaten retten. Aber immerhin kann Tibber einen Anreiz dafür geben, den Verbrauch in die günstigen Stunden zu legen, in denen besonders viel grüner Strom verfügbar ist.
Wer jetzt immer noch Lust hat, Tibber auszuprobieren, kann diesen Einladungslink verwenden.